1.7 Die holographische Feldtheorie
Leider waren die Gründer der Gestalttheorie ihrer Zeit zu weit voraus, so daß sie nicht mehr miterleben konnten, daß es heute bereits hoffnungsvolle Ansätze zu der von ihr geforderten umfassenden Feldtheorie gibt. Wir weisen hier nur auf den holographischen Ansatz hin. Unter einem Hologramm versteht man ein von einer fotographischer Platte in den Raum 'projiziertes' dreidimensionales Bild, für das es charakteristisch ist, daß in jedem Teil des Hologramms die vollständige Information enthalten ist, um das gesamte Bild zu rekonstruieren. Diese Tatsache hat der Hirnforscher Karl Pribram ( 1971 ) als ein adäquates Modell zur Erklärung bestimmter für das Gedächtnisvorgänge angesehen. So eignet sich dieses Modell z. B. zur Erklärung des Sachverhalts, daß trotz des Ausfalls wichtiger Hirnbereiche das Erinnerungsvermögen noch erhalten bleiben kann, da in den verbleibenden intakten Hirnteilen noch die gesamte gespeicherte Information enthalten ist. Der Gestalttheoretiker Stadler ( 1981 ) hat in einer zusammenfassenden Übersicht phänomenologischer, hirnphysiologischer, und sensumotorischer Forschungsergebnisse gezeigt, daß die Feldtheorie Köhlers in dem holographischen Modell von Pribram eine gute Bestätigung gefunden hat. Interessant ist, daß Pribram später bestimmte Schwierigkeiten seines Modells mit Hilfe der Gestalttheorie zu lösen suchte. Hierbei kam er auf den Gedanken, die holographische Theorie auf das gesamte Universum auszuweiten und er stieß dann auf die bereits vorliegende holothetische (d. h. ganzheitlich fließende) Theorie des Atomphysikers David Bohm ( 1985), eines Schülers von Einstein. Diese Theorie könnte man als eine vorläufige (noch keineswegs ausgereifte) Konkretisierung der gestalt- [32] theoretischen Annahme einer universalen Feldtheorie, die Physisches und Psychisches miteinander vereint, betrachten.
In einem holographischen Feld ist die Ordnung des Gesamtfeldes in allen seinen Teilen enthalten. So ist es durchaus möglich, daß die Ordnung des Makrokosmos in allen Mikrokosmen enthalten ist, daß wir also in der Erlebniswelt tatsächlich etwas 'von dem Strukturprinzip des Ganzen' erfassen oder erahnen können, wie es Wertheimer meinte. Allerdings ist die Ordnung des Makrokosmos gewöhnlich im menschlichen Gehirn nicht bewußt, sondern nur 'eingefaltet', um einen Ausdruck von David Bohm zu gebrauchen; sie kann aber in Zuständen höchster Bewußtseinsentfaltung im menschlichen Gehirn entfaltet werden. Natürlich ist die vorgetragene Theorie nicht frei von Spekulation, doch gibt es Erlebnisse, deren Struktur deutliche Ähnlichkeit mit einem holographischen Feld aufweisen. Es handelt sich dabei um sogenannte kosmische Erlebnisse, die bereits von den alten Weisen, den Religionsgründern, den Mystikern, kurz in der gesamten Ewigen Philosophie (philosophia perennis), beschrieben wurden. Eine der ältesten Beschreibungen der holographischen Struktur des 'Alles In Einem und Einem in Allem' beschreibt ein buddhistischer Sutra:
'Man erzählt, im Himmel Indras gebe es ein Perlennetz. Es ist so angeordnet, daß schaut man eine Perle an, alle anderen darin reflektiert werden. Und ebenso ist jedes Objekt in der Welt nicht nur es selbst, sondern bezieht alle anderen ein und ist tatsächlich jedes andere Objekt' (zitiert nach Ferguson, 1986, S.24). Ähnliche Beispiele finden sich in allen Hochreligionen.
Der japanische Philosoph Itsutsu charakterisiert in seinem Buch über die 'Philosopie des Zen-Buddhismus' (1986, S.35) diese Erlebnisform in allgemeinerer Form folgendermaßen:
'An dieser Stelle verlieren alle Dinge ihre wesentliche Begrenzung. Und da sie nicht mehr durch die ontologische Grenze zurückgehalten werden, fließen alle Dinge ineinander, einander widerspiegelnd und voneinander widergespiegelt in dem grenzenlos ausgedehnten Feld des Nichts' (S. 35).
Unter 'Nichts' oder 'Leere', wie es sonstwo genannt wird, ist hier das Verschwinden des Ichs und des ihm gegenüberstehenden Gegen-Standes gemeint. In einem solchen Zustand der Ichlosigkeit wird das Bewußtsein weiter und klarer, so daß man es, wie es Itsutsu tut, als 'Überbewußtsein' bezeichnen kann. Umgekehrt spricht Suzuki in ähnlichen Zuständen (vgl. Abschnitt 1.9) vom 'Unbewußten' (1988), was allerdings nicht mit dem psychoanalytischen Begriff des Unbewußten zu verwechseln ist, sondern nur als Unbewußt-Werden des Ichs zu verstehen ist, das die Voraussetzung für das ganzheitliche BEWUSST SEIN in der der Welt ist.
Auch eine Reihe 'paranomaler' oder 'übernatürlicher' Erfahrungen können im Rahmen einer holographischen Feldtheorie auf normale oder natürliche Weise erklärt werden. Wenn man z. B. bei einer Außerkörperlichen Erfahrung Informationen über einen entfernten Ort erlangt, die sich später als richtig erweisen, so ist dies kein Beleg dafür, daß irgendetwas den physischen Organismus verlassen und diesen Ort aufgesucht hat. Denn im Sinne der holographischen Feldtheorie könnte dies so erklärt werden, daß im Mikrokosmos etwas bewußt geworden ist (bzw. sich entfaltet hat), was bereits eingefaltet bzw. implizit in ihm vorhanden war. Im übrigen treten 'paranomale' Erfahrungen bei Außerkörperlichen Erfahrungen nicht häufiger auf als in anderen veränderten Bewußtseinszuständen (vgl . Blackmore, 1982).
Allerdings ist die holographische Feldtheorie von David Bohm, ebenso wie andere vergleichbare von Physikern stammende Kosmologien noch zu unausgegoren, um alle von der Gestalttheorie mit Hilfe der empirischen Phänomenologie (Erlebnisbeobachtung und -beschreibung) ermittelten Befunde zu erklären. Dies spricht nicht gegen die phänomenologische Methode. Denn vom erkenntnistheoretischen Standpunkt der Gestalttheorie aus können wir in einer phänomenologisch orientierten 'Psychologie in man- [33] cher Hinsicht über das Wesen des großen allgemeinen Seins zuverlässigere Auskunft erhalten als in der Physik oder, wo sonst auch immer wenn wir nur recht zu schauen vermögen' (Metzger, 1975, S. 660). Als Beleg für diese wichtige Tatsache, bietet sich nun gerade die Entdeckung holographischer Strukturen an. Während solche Strukturen bereits seit Jahrtausenden aufgrund unmittelbarer Erfahrungen bekannt waren, wurde in der Physik erstmals 1947 von Dennis Gabor (der hierfür später den Nobelpreis erhielt) auf die Möglichkeit einer physikalischen Realisierung eines Hologramms hingewiesen.